Ein Kollege von mir wurde vor ein paar Wochen zum ersten Mal Vater. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie es für uns nach der Geburt unseres ersten Sohnes war. Nichts ist ein so ein einschneidendes Ereignis wie die Geburt des ersten Kindes. Von einem Tag auf den anderen ändert sich das gesamte Leben, so wie wir es kannten. Man kann sich nicht darauf vorbereiten – alle Erfahrungsberichte, Lektüren und guten Ratschläge helfen nur bedingt, gewappnet zu sein, für diesen neuen Lebensabschnitt, der anders als Ehen, Freundschaften oder Arbeitsbeziehungen niemals endet.

Ich weiß noch wie heute, wie ich an jenem Freitagmorgen, nachdem wir aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen worden waren, aufgewacht bin und überwältigt war von dieser wahnsinnig großen Verantwortung. Es erschien mir schier unmöglich, dieses kleine Wesen behütet und bestärkt durch alle Zeiten zu bringen, weil ich doch selbst so unvollkommen war. Beschönigen wir es nicht – ich hatte Panik, und selbst wenn ich gewollt hätte, gab es keinen Ausweg.

Glücklicherweise haben mich die „einfachen“ neuen Aufgaben, wie füttern, wickeln, schmusen, schlafen  und zu erspüren, was davon mein Kind gerade braucht – kurz Urbedürfnisse erfüllen, so sehr in Anspruch genommen, dass ich nie wieder richtig Zeit hatte, mich über die große, übergeordnete Verantwortung zu sorgen. Und glücklicherweise haben Kinder Geduld mit uns, und wir sind nur gehalten, einen Tag nach dem anderen zu nehmen.

Doch manchmal, wenn eines meiner Kinder Geburtstag feiert, und es den Abend zuvor endlich still wird, kommt das Gefühl zurück. Dann ziehe ich Bilanz, habe Respekt vor der nächsten Einschulung, der Pubertät, überprüfe mich, zweifle an mir und fühle mich bestärkt, dass ich bis hierhin mein Bestes gegeben habe. Es kann mir niemand sagen, ob ich alles richtig gemacht habe. Es hätte bestimmt vieles besser laufen können, und ich habe gewiss auch einen Haufen Fehler gemacht.

In jedem Fall habe ich die Verantwortung angenommen, und meine Kinder auf dem Weg hierher bisher nicht verloren. Elternsein ist nichts für Feiglinge, die Quittung gibt es erst ganz zum Schluss, und wer weiß, ob ich sie noch miterlebe. Aber auch das nehme ich an und tue weiter das, von dem ich denke, dass es richtig ist. Auch wenn das bedeutet, zurückzutreten, sie stückweise loszulassen und manchmal auch nur dabei zusehen zu können, welche Entscheidungen sie treffen. Ich kann mich ihnen nur anbieten mit all meinen Fehlern und Unzulänglichkeiten, mit meinen Ratschlägen, die keiner hören will, ohne Groll zur Seite zu stehen, eben nicht weil ich Recht haben will, sondern weil ich will, dass sie es schaffen, in ein glückliches, angenommenes, verantwortungsbewusstes Leben. Und manchmal muss ich dafür auch einfach schweigen und aushalten. Ich denke, dass macht gute Eltern aus. Ich arbeite daran – einen Tag nach dem anderen.

Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, kann ich mich nicht erinnern, dass meine Eltern sich in praktischer Hinsicht sonderlich um meine schulische Laufbahn gekümmert hätten.

Sicher, sie haben sich meine Zeugnisse angeschaut, meine Mutter war auch auf dem ein oder anderen Elternsprechtag, aber darüber hinaus beschränkte sich die Kommunikation zum Thema Schule auf die beiläufige Frage „Muss ich irgendetwas wissen?“, die von mir stets verneint wurde.

Nun kann man sagen, dass ich schultechnisch ein ziemlicher Selbstläufer war, vielleicht hatten meine Eltern auch einfach nur Glück.

Allerdings drängt sich mir schon seit der Einschulung meines Großen der Eindruck auf, dass sich die Zeiten hier grundlegend geändert haben. Eltern werden heutzutage wie selbstverständlich in den schulischen Alltag eingeplant.

Schon zu Beginn der Grundschullaufbahn wurde uns mitgegeben, dass Hausaufgaben nicht mehr kontrolliert werden. Die Erzieher in der Ganztagsbetreuung achten nur auf Vollständigkeit, nicht aber auf inhaltliche Richtigkeit. Überspitzt gesagt, wird vom pädagogischen Personal zwar registriert, dass die Seite vollgeschrieben ist. Es kann dort aber der größte Schwachsinn zu Papier gebracht worden sein, was nicht beanstandet wird.

Nun kann man denken, dass das ja völlig in Ordnung sei, solange im Unterricht eine Kontrolle stattfindet. Dem ist aber größtenteils nicht so, und wenn man als Mutter nicht aufpasst, dann zeigt sich bestenfalls bei der nächsten Lernkontrolle schnell, dass zumindest beim eigenen Kind wochenlang in die Leere unterrichtet wurde. Natürlich sind an den mäßigen Noten dann die Kinder und die Eltern Schuld – wer sonst?

Lektion 1 für die berufstätige Mutter ist folglich, dass es besser ist, jeden Abend die Hausaufgaben des Sprösslings auf Korrektheit zu überprüfen. Wenn dann Fehler festgestellt werden, erklärt man den ganzen Themenkomplex am besten auch noch einmal richtig, denn dafür ist an den Lehranstalten bei dem engen Curriculum nun wirklich keine Zeit.

Unnötig zu erwähnen, dass das Hausaufgabenpensum von Jahr zu Jahr zunimmt und damit auch die Zeit, die man mit der Belehrung des eigenen Nachwuchses verbringt.

Noch schlimmer ist es, wenn ein LEK (Lernentwicklungskontrolle, die frühere Klassenarbeit) angekündigt ist. Dann muss ich zu Hochform auflaufen. Ich schaffe mir dann in einer nicht vorhandenen ruhigen Minute den gesamten abzufragenden Stoff drauf – zugegeben in Mathe und Deutsch bin ich durch die tägliche häusliche Nacharbeit ziemlich auf dem Laufenden – in Sachkunde oder Englisch fange ich allerdings bei 0 an.

Dann versuche ich, vor oder nach der Hausaufgabenkontrolle irgendwo noch ein halbes Stündchen mit meinem Sohn unterzubringen, in dem ich ihn mit dem abzuprüfenden Unterrichtsstoff belästige, denn als kaum zumutbare Belästigung empfindet er das. Während  mir meiner Meinung nach schon der ein oder andere didaktische und pädagogische Kniff gelungen ist, kann ich mich nicht ausreichender Honoration desselben erfreuen.

Wenn das Kind darüber hinaus noch Hobbies, Freunde oder andere Herausforderungen hat, dann gleicht dies einer logistischen Meisterleistung.

Haben wir das bisher irgendwie so hingekriegt, so ereilte uns mit dem Übertritt in die vierte Klasse der Supergau! Schulwochen mit zwei LEKs sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Mein Großer und ich haben daher kaum noch Freizeit und gehen uns gegenseitig gehörig auf die Nerven.

Man kann sich vorstellen, dass dies der Gesamtatmosphäre in der häuslichen Gemeinschaft alles andere als zuträglich ist – stattdessen ist es ein ständiger Quell familiärer Frustration!

Morgen schreiben wir Englisch, seit zwei Tagen lernen wir Vokabeln, Wegbeschreibungen und Obsteinkauf und soll ich Euch `was sagen „WTF! Es hängt mir zum Halse heraus!“. Ich freue mich schon auf Sachkunde zum Thema Strom – das ist dann am Freitag dran – schon der Abwechslung wegen.

Die lang geplante Radtour am Wochenende machen wir, obwohl wir es uns zeitlich eigentlich gar nicht leisten können – dafür wird die dem Familienfrieden sicher gut tun – und Grammatik wird eindeutig überbewertet!

In diesem Sinne „Lass mir in Ruhe!“

Ich hänge die Wäsche auf und höre nebenbei Rufus Beck ohrenbetäubend im Zimmer meines Vierjährigen, der gerade eifrig durch seinen Zaubersand baggert. Die beiden pflegen ihre ausgedachten Sprachfehler und scheinen einen Heidenspaß zu haben.

Später versuche ich am Laptop endlich unsere Steuererklärung zu finalisieren, und vernehme ihn schon wieder, diesmal aus den chaotischen Hallen des Großen, eindringlich auf ihn einsprechend. Es ist einer der seltenen Momente, in denen mein Ältester einfach nur widerspruchslos zuhört. Ich bin beeindruckt! Was Rufus Beck so schafft!

Ich komme vom Büro nach Hause, er ist längst da. Seine ruhige, sonore Stimme erklingt von irgendwoher, als wolle sie mich willkommen heißen, kurz bevor der Kleine an guten Tagen angerannt kommt und mir in die Arme springt.

Abends, wenn die Kinder im Bett sind, und mein Mann und ich von Zeit zu Zeit bei einem Gläschen den Tag oder die Woche am Esstisch Revue passieren lassen, ertönen seine Worte gedämpft durch die Kinderzimmertür. Wir hören eigentlich nur den Klang. Er scheint uns zuzuraunen: „Entspannt Euch! Der Tag ist geschafft!“

Rufus Beck ist unser Mitbewohner und quasi allgegenwärtig geworden.

Manchmal mache ich mir Sorgen, weil mein Neunjähriger Stunde um Stunde nur ihm lauschen möchte und total abgetaucht in seiner eigenen Welt verweilt. Für mich und den Rest der Familie ist er während solcher Phasen taub und schwer ansprechbar. Ich frage mich dann, ob das nicht schon eine Sucht ist, ob ich ihn nach und nach verliere.

Von Zeit zu Zeit setze ich mich zu ihm ins Zimmer, was meinen Sprössling sogar freut, solange ich mich ruhig verhalte.

„Harry Potter!“ flüstert Lord Voldemort dann zischend, und Rufus Beck versetzt mich zurück ins Jahr 2000, als mein Mann und ich in unseren 20ern ein Wochenende lang, einander gegenüber auf unser Sofa gekuschelt, verschiedene Harry Potter Bände verschlungen haben. Die Couch war damals noch ein Zweisitzer aus schreienden Farben, und wir noch so jung (und schlank), dass dies der bequemste Ort der Welt für uns war. Ein paar Wochen zuvor hatte ich meinen Geburtstag mit meinen Freunden und Kommilitonen gefeiert und den gewünschten ersten Teil der Harry Potter Romane erhalten. Auslöser meines Geschenkewunsches waren die nicht enden wollenden Schlangen verkleideter Kinder und Erwachsener gewesen, die ich vor den Bücherläden Regensburgs noch spätabends beobachtet hatte, und die mich zutiefst beeindruckten. Es war mir zu diesem Zeitpunkt sehr suspekt und schleierhaft, wie dieser merkwürdige Hype um das Erscheinen von „Harry Potter und der Feuerkelch“ entstanden sein konnte und sich hier so eindrucksvoll zeigte. Das wollte ich genauer wissen – und wurde süchtig. Wenig später habe ich auch meinen damaligen Freund angesteckt. Der Rest ist Geschichte!

Wir haben nicht nur alle Harry Potter Bände gelesen, ach was gelesen – uns einverleibt und eingeatmet! Wir haben später, jedes Jahr Weihnachten auch deshalb entgegen gefiebert, weil wir uns auf unseren traditionellen Kinobesuch freuten, den wir nach allen Regeln der Kunst zelebrierten.

Während ich mich erinnere, schaue ich lächelnd zu meinem großen R., sehe wie begeistert, gespannt und aufmerksam er zuhört, und gönne ihm diese Fantasiereise, den Flow, aus ganzem Herzen. Es macht mich froh, dass er brennt und versteht, wofür auch ich brennen konnte, und dass ich mit meiner Harry Potter Sachkunde in seiner Achtung steigen kann.

Denn manchmal unterhalten wir uns sogar – über Hogwarts, Hagrid, Hermine und Ron und die Dementoren. Die Zaubersprüche beherrscht er mittlerweile viel besser als ich, und natürlich kennt er auch viel mehr Details. Jetzt kann er gegenüber seiner vermeintlich allwissenden Mama glänzen – und das ist vielleicht mit das Schönste von allem.

Wenn nun also Rufus Beck als Wutz mit „Urrrrmelliiii“ mehrere hundert Dezibel laut am Sonntagmorgen durch die Wohnung schallt, nehme ich mir vor, mich nicht zu ärgern, sondern glücklich darüber zu sein, dass mein Jüngster Wawa, Ping, Seele- fant und Tim offensichtlich genauso gut findet, wie ich, und bald hoffentlich auch die Augsburger Puppenkiste lieben wird.

Leiser machen muss er trotzdem!

Wenn man Familiennachwuchs bekommen hat, dann kann man sich nicht vorstellen, dass diese Zeit jemals endet. Die Zeit, in der die Ver- und Entsorgung des täglichen Geschäftes der lieben Kleinen nicht zuletzt Elternverantwortlichkeit ist und einen beträchtlichen Teil unserer Lebenszeit bindet.

Beginnend mit acht bis zehnmal Wickeln pro Tag in winzig kleinen (Windel)Größen ist man in Nullkommanix bei Pampers 5 angekommen, nur noch variiert durch ein vorhandenes oder fehlendes „+“. Diese Phase hält sich gefühlt eine Ewigkeit. War es anfangs eine Freude mit dem kleinen Racker auf dem Wickeltisch herumzualbern, wurde es nach und nach zur hygienischen Notwendigkeit und mit wachsender körperlicher Stärke und Selbstbestimmtheit des Sohnemanns zu einer echten Kraftübung. Dies gilt umso mehr, als meine Söhne, anders als einige befreundete Mädchen nicht bereits kurz vor oder nach dem 2. Geburtstag stolz alleine auf Töpfchen bzw. Toilette gingen, sondern Ihnen, wie für viele Jungs typisch, auch mit drei Jahren jegliches sanitäre Interesse fehlte, und keinerlei Ambitionen erkennbar waren, auch in diesem Punkt Selbständigkeit erringen zu wollen.

Umso überraschender ist es auch diesmal wieder für mich, dass sich dieser Schritt quasi von einem Tag auf den anderen innerhalb einer Woche komplett vollzieht.

Ähnlich wie sein großer Bruder damals, beschloss der Kleine einfach ganz plötzlich, dass er jetzt überhaupt keine Windel mehr möchte und brauche, weder tagsüber noch des Nächtens.

Hat man ihn vorher zumindest abends und morgens dazu animieren wollen, sein Töpfchen auch mal nicht zweckentfremdet – als Kopfbedeckung oder Eimer war es z.B. recht beliebt – zu nutzen, stieß das auf wenig Verständnis und Akzeptanz. Nun rennt er ganz selbstverständlich ins Bad, verkündet lautstark, dass er Pippi muss und ist stolz wie Bolle, wenn er das Töpfchen nach einer seiner Sitzungen gut gefüllt vorweisen kann.

Die Matratze des Hochbetts haben wir zur Sicherheit mit einer Extraschicht wasserdichten Spannbettlakens ummantelt, aus psychologischen Gründen (für uns!). Gebraucht haben wir das so gut wie nie.

Und so verändern sich von jetzt auf gleich die Anforderungen an uns und die Umgebung. Statt mit Windeln fülle ich meine Tasche nun mit Wechselklamotten, statt mich gemütlich nach dem nächsten Wickeltisch umzusehen, halte ich hektisch Ausschau zumindest nach dem nächstgelegenen Gebüsch, wenn schon keine Toilette vorhanden ist. Und auf Autofahrten rechne ich ständig damit, ad hoc einen Rastplatz ansteuern zu müssen. Mindestens 10 Mal pro Tag erkundige ich mich nach dem Harndrang meines Söhnchens, und die Waschmaschine läuft im Dauertakt.

Kaum vorstellbar, dass diese Phase jemals endet …

Eins steht aber fest, mein Kleiner ist kein Baby mehr. Wie gut, dass man nicht täglich merkt, wie schnell es geht, und trotzdem noch gut gefordert ist, sonst würde ich manchmal ganz schön wehmütig werden – zum Glück fehlt mir dazu momentan die Zeit …;-).

Bye bye Windel – es war schön mit Dir!

Die wunderschöne Phase der allzeit bedingungslosen Liebe ist nun, viel zu schnell, schon wieder für mich vorbei. Mein Kleiner ist voll im Trotzalter angekommen. Ich hatte vergessen, wie anstrengend das ist!

Vom Großen daran gewöhnt, dass man mit Argumenten schon ziemlich weit kommen kann, und vom Kleinen bisher insofern verwöhnt, als dass er mit lieben Worten und Erklärungen auf Augenhöhe vom meisten zu überzeugen war, zieht dieser jetzt ganz andere Seiten auf. weiterlesen

In einer Zeit, in der der Sinn des Lebens darin zu bestehen scheint, immer glücklich und im Reinen mit sich selbst zu sein, blenden wir sie gerne aus oder umschiffen sie möglichst, die Frustration. Wenn es darauf ankommt, das eigene Dasein möglichst gut aussehen zu lassen, vor allem auf dem Foto, dann hat sie eben so gar keinen Platz, die ungeliebte und bedrohliche Frustration.

Ohne sie geht es aber leider nicht, es kann keine Tiefe entstehen, keine Weiterentwicklung und eben auch keine Selbstakzeptanz.

Daher ist es eigentlich nicht weiter überraschend, dass der bahnbrechendste Paradigmenwechsel im Laufe der Kindergartenzeit meiner Söhne für mich folgender war:

Frustration ist gesund und nötig. weiterlesen

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen meinem Großen gegenüber.

Es überkommt meistens dann, wenn der Kleine ungestört mit seinen Baufahrstellenfahrzeugen vor sich hin spielt, er ermahnungsfrei rasend schnell die Straße hinunterläuft, er so vieles selbst ausprobieren und machen darf, weil wir es z.B. schon lange aufgegeben haben, unsere Wohnung allzeit vorzeigbar zu halten, oder wenn er in Interaktion mit seinem großen Bruder elterneinmischungsfrei streitet.

Ich wünschte, ich hätte, als mein Erstgeborener damals auf die Welt kam, schon gewusst, was ich heute weiß. weiterlesen

Es gibt sie –  nicht nur die Gnade der späten Geburt – für uns Eltern mindestens genauso elementar besteht auch die Gnade der zweiten Geburt!

Was ich damit meine… nun ja, das lässt sich schwer in Worte fassen, aber ich versuche es natürlich trotzdem:

Vielleicht liegt es ja auch nur an mir oder an uns beiden Eltern aus verschiedenen Patchworkfamilien. Als unser erster Sohn geboren wurde, wollten wir ihn jedenfalls auf eine Wolke aus Vertrauen, Liebe und Glück betten. Wir wollten total auf ihn eingehen, total für ihn da sein, alle seine Fragen beantworten, alle Bedürfnisse befriedigen und ihm die bestmögliche Kindheit bieten. Unser Fokus lag 100%-ig auf ihm. Wir sind mit ihm Babyschwimmen gewesen, haben Babymassagekurse belegt, haben niemals einen Babysitter in Anspruch genommen, er musste sich nie selbst beschäftigen – es turnten immer mindestens zwei Erwachsene um ihn herum, die ihn unterhielten. Jedwede Unbill haben wir versucht, mit aller Macht von ihm fernzuhalten. weiterlesen

Neulich war es ´mal wieder so weit. Mein Großer klagte morgens ca. 20 Minuten, bevor er sich mit seinem Schulweggefährten treffen sollte, über Bauchschmerzen, und hielt sich dann überwiegend im Badezimmer auf.

Der Papa war schon aus dem Haus und wahrscheinlich bereits an seinem Arbeitsplatz angekommen, während ich fertig fürs Büro und mit einer Endlosaufgabenliste im Kopf, statt planmäßigen Aufbruchs zu Lauftreffpunkt und Kita und anschließender Sbahnfahrt zur Arbeit, damit ich es bis 9 Uhr ins erste Meeting schaffte, gezwungen war, die mentale Kehrtwende hinzulegen. Das Los des bringenden Elternteils …

Also erst einmal sowohl den Sohn bei Laufpartner, Schule und GBS als auch mich selbst bei Chefin und Team entschuldigt, Stiefeletten gegen robuste Treter getauscht, und den Kleinen in die Kita verbracht. Wieder zurück macht sich bei mir ein ungutes Bauchgefühl breit – nein ich habe mich noch nicht angesteckt – nur die Aussicht, den heutigen Tag als Arbeitstag verloren zu haben, erfüllt mich mit aufkeimender Panik. Umso mehr, als dies bei meiner bestehenden Dreitagewoche immerhin ein Drittel meiner Wochenarbeitszeit ausmacht.

So entschließe ich mich, von der für Ausnahmefälle geschaffenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, von zu Hause aus zu arbeiten. weiterlesen

Irgendwo in Deutschland. Die Kirchturmuhr schlägt sechs am Ende des ersten Arbeits-, Schul- und Kitatages nach den Ferien. Die Familie ist im Wohn/Essbereich mit offener Küche versammelt. Der Tisch ist gedeckt, das Familienoberhaupt ergreift das Wort…

P: „Jungs, heute Abend gibt es Brot, d.h. es gibt künftig jeden Abend Brot, außer am Wochenende.“

R: „Oh nein, ich möchte ´was Warmes essen!“

P: „Ich habe keine Lust, jeden Abend zu kochen. Außerdem mögt Ihr, was ich koche, sowieso fast nie.“

R: „Trotzdem, kaltes Essen finde ich blöd!“

Widerstrebend nimmt zumindest der Große am gedeckten Abendbrottisch bei seinen Eltern Platz. Der Kleine ist immer noch eifrig mit seinem Bagger auf dem Teppich beschäftigt. Wenig später…

R: „ Wer hat hier gepupst?“

M: „Niemand!“

R: „Aber irgendetwas stinkt hier! Es riecht wie Pups!“

P: „Stimmt, ich rieche es auch.“ Er schnuppert am Salat. „Hier, das ist der Senf an der Salatsoße. Riech ´mal!“ fordert er den Großen auf.

Der Große beugt sich über die Salatschüssel und zieht den Geruch stark ein. „Iiiih, ja, das riecht wie Pups!“

P: „Naja, nicht wie Pups, es riecht etwas streng.“

R: „Was heißt streng?“

M: „Der Salat ist eben bitter.“

R – unvermittelt: „Ich will Nutellabrot!“

M: „Jetzt ist Abendessen. Nutella gibt es allenfalls zum Frühstück!“

R: „Dann nehme ich Marmelade.“

M: „Die ist auch süß!“

R: „Ich mag nichts anderes!“

M: „Das kann nicht sein! Du kannst Wurst auf Dein Brot haben, Käse… .“

R: „Das mag ich alles nicht. Ich vertrage das nicht so gut.“

P zum Kleinen, der immer noch fernab des Tisches Baustelle spielt: „Komm jetzt ist Abendessen! Wenn Du Hunger hast, dann iss jetzt, danach geht es ins Bett!“

F: „Ich bagger.“

R am Kühlschrank: „Kannst Du mir bitte die Marmelade herunterreichen?“

M resignierend: „Hier in Gottes Namen!“

R sein Brot dick mit immerhin handgemachter, nicht industriell gefertigter Aprikosenmarmelade bestreichend: „Wir haben heute in der Schule ein Lied gelernt.“ R. fängt getragen an zu singen: „Mit Lichterschwerten kämpfen wir…“

M verdreht die Augen und stößt einen Seufzer aus in der Überzeugung, dass es sich ´mal wieder um eines dieser religiösen Kirchenlieder handelt, mit denen ihr Sohn sie so gerne beglückt – in erster Linie, um sie zu ärgern…

R unvermittelt und vorwurfsvoll: „Wieso habt Ihr mir nicht gesagt, dass gestern Halloween war?!“

P: „Wieso?“

R: „Alle aus meiner Klasse haben Halloween gefeiert und sich verkleidet. Und ich wusste gar nicht, dass das war!“

M: „Das macht nichts. Ich mag kein Halloween!“

R: „Warum?“

M: „Weil das ein neumodischer, bescheuerter Trend aus den USA ist, der hier in den letzten Jahren herübergeschwappt ist, und allein der Geldmacherei dient!“

P ironisch: „Genau wie Weihnachten…“

R: „Ich wollte aber auch bei Halloween mitlaufen!“

M: „Du wusstest doch gar nicht, dass Halloween war.“

R: „Trotzdem“, und schluchzend weiter „ich war der Einzige, der nicht Halloween gefeiert hat.“

M: „Das glaube ich nicht.“

P: „Naja, nun wissen wir ja, dass Du gerne Halloween mitmachen möchtest. Genau wie Weihnachten findet das jedes Jahr statt, und dann machst Du einfach im nächsten Jahr mit!“

M zum immer noch schwer mit Baggern beschäftigten Kleinen: „Bist Du satt?“

F: „Nein.“

M: „Dann setz Dich an den Tisch und iss! Später gibt es nichts mehr!“

F resignierend: „Oooohkay.“ Er stellt den größten seiner Catbagger auf den Tisch und will den Lader dazu schieben.

P: „Nein, die Fahrzeuge kommen nicht auf den Tisch!“

Der Große stürzt herbei, um dem Kleinen die Baumaschine aus der Hand zu reißen.

P: „Nein, lass ´mal, ich mach das.“ Doch es ist zu spät. Schon erhebt sich großes Geschrei.

Als die Baugerätschaften wieder auf der Auslegeware stehen, der Kleine halbwegs beruhigt auf seinem Platz und der Große immer noch feixend ihm gegenüber Platz genommen hat, fragt P: „Soll ich Dir ein Wurstbrot machen?“

F: „Ich will Nüsli.“

P: „Oder willst Du Schmierkäse?“

F: „Ich will Nüsli.“ Zur Abschreckung wird ihm das mittlerweile eingetrocknete Milch-Cerealien-Gemisch, das vom Morgen übrig blieb und nur durch einen glücklichen Zufall noch nicht seinen Weg in den Kompostierprozess gefunden hat, hingestellt. Er nimmt beherzt einige Kleisterlöffel.

R: „Ich will Kellogs!“

M: „Nein!“

R singend:“ Mit Laserschwertern kämpfen wir im All…“

M: „Ist das ein Lied über Star Wars?“

R: „Ja, cool, oder?“

M: „Ja wirklich! Ich hatte Lichterschwerter verstanden und dachte schon …“

P schnell eingrätschend: „Ja, das hatte ich auch verstanden. Ich dachte auch, das passt ganz gut zu dieser Jahreszeit … mit Laternelaufen und so…“

R:  „Mein Freund A findet das Lied blöd, weil es nachgemacht ist von Star Wars.“

M: „Da kannst Du ihm ´mal sagen, dass Halloween auch nur so ein aus den USA nachgemachter Trend ist!

Und überhaupt, wenn Ihr Euch schon etwas merken wollt, dann könnt ihr lieber lernen, dass am 31.10. vor 500 Jahren Martin Luther seine 95 Thesen an das Klostertor in Wittenberg angeschlagen hat, was der Auslöser dafür war, dass es heute Katholiken und Protestanten unter den Christen gibt. Das ist nämlich der Reformationstag, und der ist für unsere westlich, abendländische Kultur doch viel entscheidender.“

R: „Aber Halloween ist cooler!“

P: „Stimmt! Deshalb haben die Bayern auch heute frei.“

M: „Nein.“

P: „Doch, die Kollegen in München haben heute frei.“

M: „Ja, weil heute Allerheiligen ist…“

F: „Ich bin fertig. Ich will baggern!“

 

Loriot is not dead …und das ist doch auch beruhigend… vor allem an Allerheiligen!