Ich hänge die Wäsche auf und höre nebenbei Rufus Beck ohrenbetäubend im Zimmer meines Vierjährigen, der gerade eifrig durch seinen Zaubersand baggert. Die beiden pflegen ihre ausgedachten Sprachfehler und scheinen einen Heidenspaß zu haben.

Später versuche ich am Laptop endlich unsere Steuererklärung zu finalisieren, und vernehme ihn schon wieder, diesmal aus den chaotischen Hallen des Großen, eindringlich auf ihn einsprechend. Es ist einer der seltenen Momente, in denen mein Ältester einfach nur widerspruchslos zuhört. Ich bin beeindruckt! Was Rufus Beck so schafft!

Ich komme vom Büro nach Hause, er ist längst da. Seine ruhige, sonore Stimme erklingt von irgendwoher, als wolle sie mich willkommen heißen, kurz bevor der Kleine an guten Tagen angerannt kommt und mir in die Arme springt.

Abends, wenn die Kinder im Bett sind, und mein Mann und ich von Zeit zu Zeit bei einem Gläschen den Tag oder die Woche am Esstisch Revue passieren lassen, ertönen seine Worte gedämpft durch die Kinderzimmertür. Wir hören eigentlich nur den Klang. Er scheint uns zuzuraunen: „Entspannt Euch! Der Tag ist geschafft!“

Rufus Beck ist unser Mitbewohner und quasi allgegenwärtig geworden.

Manchmal mache ich mir Sorgen, weil mein Neunjähriger Stunde um Stunde nur ihm lauschen möchte und total abgetaucht in seiner eigenen Welt verweilt. Für mich und den Rest der Familie ist er während solcher Phasen taub und schwer ansprechbar. Ich frage mich dann, ob das nicht schon eine Sucht ist, ob ich ihn nach und nach verliere.

Von Zeit zu Zeit setze ich mich zu ihm ins Zimmer, was meinen Sprössling sogar freut, solange ich mich ruhig verhalte.

„Harry Potter!“ flüstert Lord Voldemort dann zischend, und Rufus Beck versetzt mich zurück ins Jahr 2000, als mein Mann und ich in unseren 20ern ein Wochenende lang, einander gegenüber auf unser Sofa gekuschelt, verschiedene Harry Potter Bände verschlungen haben. Die Couch war damals noch ein Zweisitzer aus schreienden Farben, und wir noch so jung (und schlank), dass dies der bequemste Ort der Welt für uns war. Ein paar Wochen zuvor hatte ich meinen Geburtstag mit meinen Freunden und Kommilitonen gefeiert und den gewünschten ersten Teil der Harry Potter Romane erhalten. Auslöser meines Geschenkewunsches waren die nicht enden wollenden Schlangen verkleideter Kinder und Erwachsener gewesen, die ich vor den Bücherläden Regensburgs noch spätabends beobachtet hatte, und die mich zutiefst beeindruckten. Es war mir zu diesem Zeitpunkt sehr suspekt und schleierhaft, wie dieser merkwürdige Hype um das Erscheinen von „Harry Potter und der Feuerkelch“ entstanden sein konnte und sich hier so eindrucksvoll zeigte. Das wollte ich genauer wissen – und wurde süchtig. Wenig später habe ich auch meinen damaligen Freund angesteckt. Der Rest ist Geschichte!

Wir haben nicht nur alle Harry Potter Bände gelesen, ach was gelesen – uns einverleibt und eingeatmet! Wir haben später, jedes Jahr Weihnachten auch deshalb entgegen gefiebert, weil wir uns auf unseren traditionellen Kinobesuch freuten, den wir nach allen Regeln der Kunst zelebrierten.

Während ich mich erinnere, schaue ich lächelnd zu meinem großen R., sehe wie begeistert, gespannt und aufmerksam er zuhört, und gönne ihm diese Fantasiereise, den Flow, aus ganzem Herzen. Es macht mich froh, dass er brennt und versteht, wofür auch ich brennen konnte, und dass ich mit meiner Harry Potter Sachkunde in seiner Achtung steigen kann.

Denn manchmal unterhalten wir uns sogar – über Hogwarts, Hagrid, Hermine und Ron und die Dementoren. Die Zaubersprüche beherrscht er mittlerweile viel besser als ich, und natürlich kennt er auch viel mehr Details. Jetzt kann er gegenüber seiner vermeintlich allwissenden Mama glänzen – und das ist vielleicht mit das Schönste von allem.

Wenn nun also Rufus Beck als Wutz mit „Urrrrmelliiii“ mehrere hundert Dezibel laut am Sonntagmorgen durch die Wohnung schallt, nehme ich mir vor, mich nicht zu ärgern, sondern glücklich darüber zu sein, dass mein Jüngster Wawa, Ping, Seele- fant und Tim offensichtlich genauso gut findet, wie ich, und bald hoffentlich auch die Augsburger Puppenkiste lieben wird.

Leiser machen muss er trotzdem!