Irgendwann bewegt man sich in seiner Komfortzone, hat ein relativ festes Bild von sich und entspricht diesem auch die meiste Zeit oder versucht es zumindest.

Auch wenn ich früher schrieb „Lasst mich doch bitte in meiner Komfortzone bleiben“ schadet es trotzdem nicht, diese von Zeit zu Zeit zu verlassen – weniger aus dem Mantra der Selbstoptimierung heraus, denn um sich zu testen und noch besser kennen zu lernen. Auf die Dosis kommt es an!

Eine meiner Lieblingsvorstellungen von mir selbst ist der Fels in der Brandung, nur durch wenig aus der Ruhe zu bringen und meistens entspannt und gelassen. Ich freue mich immer, wenn es mir dank innerer Einstellung gelingt. Der Weg dahin ist harte Arbeit, und es klappt fürwahr nicht immer.

Die Verunsicherung kann ich nicht verbannen, sie erwischt mich beizeiten mit voller Wucht auf unbekanntem Terrain. Manchmal versuche ich bewusst, mich ihr auszusetzen, um ihr ein Schnippchen zu schlagen.

An Halloween beispielsweise war mein Sohn im fernen Hamburg auf den Geburtstag eines guten Freundes eingeladen. Die Feierlichkeiten sollten knapp 5 Stunden dauern, und da wir jetzt ländlich fern der Großstadt und noch ferner von unserem früheren Domizil leben und wohnen, lohnte es sich für mich, Chauffeur Mama, nicht, zwischendurch nach Hause zu fahren.

Ganz Zeitnutzer hatte ich die Zeit zwischen Bringen und Abholen mit Verabredungen gefüllt. Allerdings hatte mich eine meiner Freundinnen falsch verstanden, und fragte bereits am Samstag, wann genau ich gleich kommen wollte. Als ich das Missverständnis auflöste, stellte sich heraus, dass sie am Sonntag bereits verplant war, aus unserer Verabredung also nichts werden würde.

So kurzfristig war der „Timeslot“ nicht zu füllen, und so entschloss ich mich, alleine essen zu gehen.

Ich hatte Lust auf Ziegenkäse im Burger mit Feigensauce. Wo man den bekommen kann, muss man sich erst im Vorraum anstellen, um seinen Platz gewiesen zu erhalten. Der obligatorischen Frage des Servicepersonals nach der Anzahl der teilnehmenden Personen, muss man sich stellen. So ist es schon zu Beginn komisch, das Lokal seiner Wahl zu betreten, sich wappnend, dass man explizit erklären muss, tatsächlich und wirklich ganz alleine sitzen und essen zu wollen, auf niemanden zu warten und auch nicht versetzt worden zu sein. Ich habe mich gefühlt, als müsste ich mich für etwas entschuldigen zwischen all den Paaren, Grüppchen und Familien. Flucht nach vorne Typ, der ich bin, stellte ich gleich beim Einlass klar, dass ich einen Tisch für mich alleine suche und gedenke allein zu speisen. Herr Lohse wäre stolz auf mich gewesen!

Ein ermutigendes Lächeln der Kellnerin mit den Worten: „Na das ist doch gar kein Problem!“ entspannte mich und ließ die Vorfreude auf die feige Ziege wieder überwiegen. Mir wurde auch nicht der Katzentisch angeboten, sondern ich durfte mir meinen Platz aussuchen – da hätte ich die Gastronomiefachkraft gar nicht mit meiner momentanen Gefühls- und Lebenslage behelligen müssen. Ich wählte einen leicht erhöhten Tisch in zweiter Reihe.

Bei einer sympathischen männlichen Bedienung bestellte ich das Menü meiner Wahl. Allerdings war er nicht komplett im Bilde und fragte, ob ich noch auf jemanden warten wolle. Schon mit gewisser Gewöhnung erwiderte ich, dass ich beabsichtigte, ganz allein zu schlemmen.

Tja, was tun, bis das Essen kommt? Ich sah mich im Lokal um.

Auf die Antwort hätte ich auch selbst kommen können. Nicht nur allein auf sich gestellte Restaurantbesucher, auch Paare und andere Menschen in Gesellschaft machten es mir vor – es bot sich an, aufs Smartphone zu stieren und darauf herum zu wischen. „Das kann ich auch!“ So dachte ich zumindest, konnte ich aber doch nicht, weil ich mein Handy im Auto vergessen hatte – blöd, wenn so eine Gerätschaft alles kann, sogar den Weg weisen … . Keinesfalls wollte ich mir die Blöße geben, zum Auto zu gehen, zumal ich weder meine Habseligkeiten unbeaufsichtigt im Restaurant liegen lassen wollte, noch riskieren, dass mein gewählter Platz von anderen Neuankömmlingen besetzt würde, nur um dann wieder zu kommen und für den Rest meines Aufenthalts den Kopf gesenkt vor meinem Mobiltelefon zu neigen. Außerdem schoss es mir durch den Kopf, wie oft ich meinen Großen ermahnt hatte, dass Ding bei den Mahlzeiten aus der Hand zu legen. Da konnte ich doch jetzt nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen – ungesehen zwar, aber für mich deshalb nicht unvergessen – da sitzen wir wieder mit dem Bild, dem wir entsprechen wollen – aber das ist ein weites Feld, Luise – wo war ich? – ach ja, im Restaurant, allein, ohne Ablenkung, ohne schützende Geschäftigkeit bzw. Beschäftigung. Ein Buch, hinter dem ich mich hätte verstecken können, war auch nicht zur Hand, und so blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen, zunächst zum jederzeitigen Senken bereit, dann immer mutiger sah ich von hier nach da, blieb auch mal haften, und nahm einfach wahr, was um mich herum vorging.

Dabei habe ich der jungen Familie zugehört, die am Nebentisch saß und beruhigt festgestellt, dass die Freuden oder besser Herausforderungen des Restaurantbesuchs mit Kindern überall die gleichen sind. Die beiden hatten noch kleinere Kinder als wir, und so kam zum geschwisterlichen Gezanke und Gestreite, der immer wiederkehrenden Frage, wann denn nun die Pommes endlich gebracht werden würden und der anderen nach dem Zeitpunkt der Heimkehr hinzu, dass die Mutter, kaum kam sie vom Toilettengang mit einem Kind zurück, schon wieder mit dem nächsten in gleiche Richtung aufbrechen konnte. Ihr eigenes Essen wurde dabei pappig und kalt, die Eiswürfel im überteuerten Getränk schmolzen, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, warum diese Familie und wir uns einen solchen Zinnober regelmäßig antaten und dafür auch noch bezahlten. Es war mir in dem Moment aber auch wieder egal, weil ich froh war, einmal auf der anderen Seite zu stehen bzw. zu sitzen. Beherzt biss ich in meinen Burger und kaute ganz in Ruhe.

Die Paare mittleren Alters, die sich wenig bis gar nichts zu sagen hatten, beobachtete ich ebenfalls und war froh, wenn ich daran dachte, dass mein Mann und ich oft ewig zum Bestellen brauchten, weil wir beim viel zu selten gewordenen Zweierdate, endlich einmal Sätze zu Ende sprechen, Gedanken über die Zielgerade hinaus bringen und uns ausgiebig austauschen konnten, vielleicht sogar über Gott und die Welt, und hierüber das Ordern zu kurz kam. Jetzt vermisste ich ihn ein wenig.

Sehr gerne betrachtete ich die vielen anderen Menschen, die einfach nur gesellig zusammen waren und sich freuten, sich über Klausuren und Kommilitonen, Enkelkinder und Hobbies, Freunde und Familie, Politik und den neuesten Trend, die Zukunft und die Vergangenheit, mit einem ganz realen Gegenüber zu unterhalten und die menschliche Gesellschaft zu genießen.

Das habe ich auch getan – ganz allein.

Meine Lieblingsbeschäftigung wird es nicht werden, alleine essen zu gehen, aber so schlimm ist es nun auch nicht …