Die wunderschöne Phase der allzeit bedingungslosen Liebe ist nun, viel zu schnell, schon wieder für mich vorbei. Mein Kleiner ist voll im Trotzalter angekommen. Ich hatte vergessen, wie anstrengend das ist!
Vom Großen daran gewöhnt, dass man mit Argumenten schon ziemlich weit kommen kann, und vom Kleinen bisher insofern verwöhnt, als dass er mit lieben Worten und Erklärungen auf Augenhöhe vom meisten zu überzeugen war, zieht dieser jetzt ganz andere Seiten auf.
Nicht nur, dass total unberechenbar ist, wann der nächste Trotzschub mit brachialer Urgewalt die Restfamilie in Atem hält. Kein Anlass ist zu nichtig, um nicht einen kolossalen Wutausbruch heraufbeschwören zu können. Egal, ob das Brötchen beim Frühstück am falschen Tellerrand liegt, der linke Schuh vor dem rechten angezogen wurde, die Socke verrutscht ist, die Mutter die Autotür geöffnet hat, obwohl sie das nun doch überhaupt nicht sollte, oder eben die Autotür nicht aufgehalten hat, obwohl das in der Situation total angebracht gewesen wäre, ich das Licht statt seiner ausgemacht habe, oder einfach nur zu schnell oder langsam den Raum verlassen habe… Man sieht es nicht kommen.
An guten Tagen reicht es, wenn man das Licht wieder anmacht, beide Schuhe wieder auszieht, die Autotür wieder schließt, also sozusagen wieder auf Anfang spult, um den Lauf der Dinge im dreijährigen Tagesmodus geschehen zu lassen.
Oftmals ist es dafür aber schon zu spät, und dann heißt es einfach: Augen zu und durch! Meistens fühle ich mich dann wie jemand, der versucht, sich bei Unwetter unterzustellen, weil er weder mit Regenjacke noch Schirm ausgerüstet ist. Ein Schirm würde bei diesen orkanartigen Böen ohnehin nichts nützen, und so bleibt nur, inne zu halten, die Ruhe so gut es geht, zu bewahren und auszuharren, bis das Gewitter sich verzogen hat.
Einige kinderlose oder ganz autoritäre Zeitgenossen werden einwenden, dass Kinder immer Grenzen brauchen, und es ja wohl nicht sein kann, dass man sich als gestandene Erwachsene von so einer kleinen Rotznase auf eben derselben eigenen herumtanzen lässt. Ich habe auch mal so gedacht, und kann jenen nur empfehlen, so oft wie möglich an der Feldstudie teilzunehmen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Aufzeigen von Grenzen in solchen Situationen nur bedingt bis gar nicht sinnvoll ist. Noch übler wird es, wenn man auf seinem eigenen Standpunkt nur um des Standpunktes willen beharrt. Denn um einen Standpunkt verstehen oder eine Grenze noch erkennen zu können, müsste der kleine Tobsüchtige ja noch irgendeiner Art der Logik zugänglich sein oder sich annähernd im Griff haben. Das habe ich nicht oft erlebt. Zwar hilft es, nachher noch einmal in Ruhe zu fragen, was denn da jetzt eigentlich so schlimm war und ob das jetzt wirklich nötig war, und zu besprechen, wie man stattdessen miteinander umgehen will. Im Auge des Orkans bringt das gar nichts und erhitzt nur sämtliche Gemüter. Fraglich ist auch, ob sich die so in entspannterer Atmosphäre gewonnenen Erkenntnisse bis zum nächsten Anfall halten.
Nun bin ich von Natur aus ziemlich geduldig und gelassen – manche würden es auch stur oder stoisch mit starker Tendenz zur Penetranz nennen – also eigentlich gut ausgerüstet für die Trotzphase, aber irgendwo hat auch mein Gleichmut seine Grenzen, und so fühle ich mich in letzter Zeit doch reichlich ausgelaugt.
Da ist zum Einen die Lautstärke, die Tonlage, die Heftigkeit, die Aussichtslosigkeit in dem Moment der durchgebrannten, kleinen Sicherung, zum Anderen die schon fast unmenschliche Beherrschung, die es braucht, um nicht meinerseits total auszurasten oder das Runterschlucken allen Rechthabens, weil es in dem Augenblick ohnehin sinnlos wäre.
An besonders schlimmen Tagen fühle ich mich abends wie ausgespuckt, irgendwie dumpf, und bin froh, wenn wir noch Sekt im Kühlschrank haben.
Neulich hatte sogar meine Mutter, die mir ansonsten wirklich jede Situation mit meinen Kindern frohlockend gönnt, derer ich sie selbst als junge Mutter ausgesetzt habe, Mitleid mit mir. Sie erkundigte sich doch tatsächlich nach einem Besuch abends bei mir, ob sich der kleine Giftzwerg wieder beruhigt hätte. Außerdem hoffte sie, dass ich mich noch ein bisschen entspannen konnte. Bei ihnen daheim wäre es ja schlagartig so ruhig gewesen, sozusagen echt erholsam. Ich bin ob ihrer Nachricht, gleichzeitig humorig angesprochen, dankbar berührt und fühle mich unterschwellig schuldig, angesichts meiner vergangenen Trotzanfälle.
An dem Tag hatte ich mich, wieder zu Hause angekommen, im Bad eingeschlossen, nachdem ich die Jungs meinem Mann aufs Auge gedrückt hatte, ein langes Orangenmandarinenbad genommen, Oldies gehört, lautstark aufgedreht und mitgesungen, gepeelt, gecremt, gekurt und hydriert, was das Zeug hielt, und konnte so den überfälligen Nervenzusammenbruch erfolgreich abwenden.
Trösten kann ich mich neben der Überzeugung, dass diese Phase für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung enorm hilfreich, wichtig und normal ist, und ich das alles bloß nicht persönlich nehmen sollte, nur mit der Gewissheit, dass auch diese Phase vorübergeht.
Es fragt sich nur wann, denn auch das habe ich längst vergessen …
Eure VME