Es gibt sie – nicht nur die Gnade der späten Geburt – für uns Eltern mindestens genauso elementar besteht auch die Gnade der zweiten Geburt!
Was ich damit meine… nun ja, das lässt sich schwer in Worte fassen, aber ich versuche es natürlich trotzdem:
Vielleicht liegt es ja auch nur an mir oder an uns beiden Eltern aus verschiedenen Patchworkfamilien. Als unser erster Sohn geboren wurde, wollten wir ihn jedenfalls auf eine Wolke aus Vertrauen, Liebe und Glück betten. Wir wollten total auf ihn eingehen, total für ihn da sein, alle seine Fragen beantworten, alle Bedürfnisse befriedigen und ihm die bestmögliche Kindheit bieten. Unser Fokus lag 100%-ig auf ihm. Wir sind mit ihm Babyschwimmen gewesen, haben Babymassagekurse belegt, haben niemals einen Babysitter in Anspruch genommen, er musste sich nie selbst beschäftigen – es turnten immer mindestens zwei Erwachsene um ihn herum, die ihn unterhielten. Jedwede Unbill haben wir versucht, mit aller Macht von ihm fernzuhalten.
Den Wiedereinstieg in das Berufsleben in Vollzeit nach der Elternzeit habe ich als traumatisch erlebt. Die Eingewöhnung in der Kita und damit einhergehende Trennungsphasen waren herzzerreißend für mich Scheidungskind – und für mein Söhnchen damit natürlich auch. Wollte ein Kind nicht mit ihm spielen oder war gemein zu ihm, konnte ich nächtelang nicht schlafen. Ich hätte ihn so gerne in Watte gepackt, und ihm jede Frustration erspart. Das war ganz schön zermürbend – für uns Eltern und vor allem für das Kind. Diese ganze Überbehütung gepaart mit der stetigen Unsicherheit, ob man wirklich alles richtig macht, ob sich das Kind normal entwickelt, ob man wirklich alles für das Kind tut, was so getan werden kann, ist schon eine Belastungsprobe – fürs Familienleben und auch für die Beziehung.
Angetrieben von oben genannter Verunsicherung und vom gutgemeinten Anraten von außen habe ich meinen Stammhalter natürlich auch den gängigen Therapieformen unterzogen, denen Kinder in der heutigen Zeit so ausgesetzt sind – abwechselnd Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie – im Nachhinein völlig unnötig! Beruhigt hat mich nur, dass jedes zweite andere Kind offensichtlich auch gefährdet war, und man sich in den Praxen regelmäßig wiedertraf. So haben sich zwar einige nette Kontakte ergeben, mittlerweile bin ich jedoch der festen Überzeugung, dass sich mein Großer genauso und in jedem Fall entspannter entwickelt hätte, wären wir nicht jede Woche zu irgend so einer Sitzung durch die Gegend gekurvt. Was für eine Verschwendung von Lebenszeit! Allerdings sind viele dieser professionellen Unterstützer ja auch darin geübt, den Eltern ein permanent schlechtes Gewissen zu verursachen, schon deshalb, weil für die Übungen für zu Hause ´mal wieder nicht genug Zeit war bzw. diese aufgrund völliger beidseitiger Frustration abgebrochen oder gar nicht erst angegangen wurden. Diese Art der Frustration hätte ich meinem Sohn und uns als Familie allerdings wirklich ersparen können!
Ich will damit gar nicht sagen, dass sämtliche Therapien sinnlos sind und nur der Geldmacherei dienen. Ich finde es heute nur mehr denn je befremdlich, wie gießkannenmäßig diese Angebote auf die Elternschaft und deren Nachwuchs ausgeschüttet werden. In einigen Fällen sind sie ohne Zweifel hilfreich und notwendig. Die Therapeuten machen einen guten Job. Ich glaube nur nicht, dass 80% der Kinder diagnostiziert werden müssen oder sollten.
Aber ich schweife ab, merke bereits, dass das Thema mir wohl Futter für einen separaten Beitrag geben wird;-).
Doch zurück zu meinem Erstgeborenen: Im Laufe der Jahre konnten wir ein wenig lockerer lassen bzw. haben unseren Familienmodus gefunden.
Während wir uns z.B. bei der ersten viertägigen Gruppenreise, die unser Sohnemann im zarten Alter von dreieinhalb mit der Kita unternommen hat, kaum abends im Lokal um die Ecke essen gehen trauten, aus der Befürchtung heraus, dass es im Restaurant womöglich keinen Handyempfang geben könnte, und wir so dem Notruf und der sofortigen Bitte um Abholung unseres verzweifelten Kindes nicht nachkommen könnten, waren wir bei der Vorschulgruppenreise drei Jahre später jeden Abend aus und haben die geschenkte Zweisamkeit genossen. Unnötig zu sagen, dass es o.g. Anruf während dieser Reisen nie gegeben hat, und unser Großer alles andere als verzweifelt war…
So richtig gut als Mutter werde ich von Tag zu Tag mehr aber erst, als nach fünfeinhalb Jahren der kleine Bruder geboren wurde. Hatte ich anfangs das Gefühl, meine ganze Familie mit der Entscheidung für ein zweites Kind ins emotionale Unglück gestürzt zu haben, weil ich für wirklich niemanden mehr ausreichend Zeit haben würde, bin ich heute ganz sicher, dass dies aus mehreren Gründen die beste Entscheidung meines Lebens war.
Weiteren Aufschluss über meine Gründe gibt es – Achtung Cliffhanger !!! – in einem meiner nächsten Beiträge;-)
Natürlich bin ich schon jetzt gespannt auf Eure Meinung! Immer her damit!
Eure VME