Traditionell treffe ich mich im Januar mit meinen Freundinnen seit und aus Unizeiten zum Wellnesswochenende in Regensburg, wo wir Ende der 90er/ Anfang der Nullerjahre alle zusammen studiert, gefeiert und Freud und Leid geteilt haben.
Die meisten meiner Mädels sind, wenn auch nicht in Regensburg, so doch zumindest in Bayern geblieben, während ich gebürtige Bayerin und Nord – Süd – Nordlebende seit einer ganzen Weile in einer großen, deutschen Hansestadt ansässig bin.
Da die Hauptstadt der Oberpfalz (noch) keinen Flughafen hat, und ich die ganze Strecke ungern allein mit dem Auto fahren will, ist das Transportmittel meiner Wahl für diesen Anlass die deutsche Bahn.
Auf die etwa sechsstündige Zugfahrt freue ich mich meistens sogar, weil sich mir hier die selten gewordene Gelegenheit bietet, die Süddeutsche Zeitung von Anfang bis Ende zu durchschmökern.
Für die Hinfahrt mit Milchkaffee, Croissant und eben der Süddeutschen gerüstet, machte ich es mir auf meinem Platz gemütlich und fing nach fahrplanmäßiger Abfahrt um 7.47 Uhr mit Seite 1 des Politikteils an.
Als ich kurz vor Fulda im Feuilleton des Blattes angelangt war, setzte sich eine Frau mittleren Alters auf den neben mir frei gewordenen Platz. Sie begrüßte mich freundlich und teilte mir mit, dass sie zwar einige Reihen weiter vorne reserviert hatte, dort aber leider nicht mehr sitzen könne, weil ihr Platz komplett durchnässt wäre. Die Information nahm ich zur Kenntnis, schon ein wenig irritiert, aber dennoch stumm – ich wollte die Dame ja auch nicht in Verlegenheit bringen, vielleicht hatte sie gesundheitliche Probleme – bis sie von sich aus hinzusetzte, dass es seit geraumer Zeit von der Decke tropfen würde. Verwundert blickte ich nach oben.
Dann sah ich es auch. Beginnend im Gang bis ca. sechs Sitzreihen vor uns tröpfelte in regelmäßigen Abständen eine klare Flüssigkeit herab. Einige Fahrgäste hatten ihre Sitze schon verlassen und sich nach einem neuen Platz umgesehen, was im ziemlich durchreservierten ICE gen Süden nur bedingt von Erfolg gekrönt war. Zudem war das Gepäckfach bis auf wenige Meter vor uns geräumt, weil das Fluid von der Decke nicht nur auf die darunter liegenden Plätze, sondern auch auf die Gepäckablage träufelte. Wer da nicht imprägniert oder mit Regenjacke unterwegs war, hatte sein Hab und Gut in Sicherheit gebracht.
Als der Zug bei der Einfahrt in den fuldaer Bahnhof bremste, ergoss sich zudem ein Riesenschwall ca. vier Sitzreihen vor uns. Der Platz darunter war glücklicherweise nicht besetzt. Wieder angefahren reduzierte sich die punktuelle Niederschlagsmenge, dennoch hatte ich das Gefühl, dass sich das Rinnsal unaufhaltsam in meine Richtung bewegte. Ich erwog, den mitgeführten Knirps aus meiner Tasche zu holen und aufzuspannen, entschied mich dann aber dagegen, weil mir, wenn ich die Süddeutsche weiterlesen wollte, mindestens eine Hand gefehlt hätte. Zudem hätte es mir und meiner Nachbarin doch arge Platzprobleme bereitet. Stattdessen wappnete ich mich und nahm mir vor, mir die Zeitung in dem Moment über den Kopf zu halten, in dem sich der Schauer über mich ergießen würde.
Der Schaffner, der von Zeit zu Zeit durch unser Abteil kam, um die Fahrkarten der zugestiegenen Gäste zu kontrollieren, hatte keine Lösung für das Problem, und erwähnte es daher sicherheitshalber lieber gar nicht. Da ich von Haus aus neugierig bin, hielt ich den schon im Gehen begriffenen DB-Mitarbeiter auf, und fragte nach der Ursache für das Wasser, das von oben kam. Er erwiderte:“Ja mei, d‘ Klimaanlach is kaputt.“ Und auf meine Frage, ob denn da auch wirklich nur Wasser von der Decke rann, bejahte er nach kurzem Zögern sehr schnell und verschwand.
Bis Regenburg war ich dann doch relativ angespannt – bei jeder Bremsung befürchtete ich schon das Schlimmste – dennoch kam ich trockenen Hauptes dort an. Das Nass hatte sich seinen Weg bis dahin nur bis zum Viererplatz vor uns gebahnt.
Nach einem wunderschönen und entspannten Wochenende in meiner Universitätsstadt mit meinen Uschis, machte ich mich Sonntagmittag bereit, die Rückreise anzutreten. Nach einem Blick auf die gebuchte Verbindung, bemerkte ich, dass ich diesmal einmal umsteigen musste und hatte lediglich kleine Bedenken, ob ich den Anschlusszug in Würzburg in nur 5 Minuten erreichen würde. Da der Anschlusszug jedoch am Gleis gegenüber abfahren sollte, war ich gänzlich beruhigt.
Kaum am Bahnhof angekommen, vernahm ich jedoch schon die Ansage, dass mein Zug mit fünfminütiger Verspätung abfahren sollte, und dass der Zug in umgekehrter Wagenreihung verkehrte. Da ich so sogar noch ein wenig mehr Zeit zur Verfügung hatte, konsultierte ich den Abfahrtsplan samt Wagenanzeige und stellte mich dann strategisch günstig ans entgegengesetzte Ende vom ursprünglichen Standort, da der reservierte Platz sich im ersten bzw. nun letzten Waggon befinden sollte.
Ziemlich genau fünf Minuten nach der geplanten Abfahrtszeit traf der ICE ein, der – oh Wunder – doch in richtiger Wagenreihung hielt. Da für den Zug aber kein längerer Aufenthalt in Regensburg vorgesehen war, stieg ich ein, wo ich war, und pflügte meinen Koffer und mich durch 8 Wagen. Eine Vielzahl von Passagieren tat es mir in dieselbe Richtung gleich, während einige Mitfahrer mit entgegengesetztem Ziel und ihrem Gepäck unterwegs waren.
Nach 15 Minuten hatte ich endlich den Zielwaggon erreicht, als ich ungläubig meinen Namen hörte und noch viel überraschter zwei gute Freunde aus Hamburg genau am Tisch gegenüber dem mir zugedachten Plätzchen erspähte. Das war ein freudiges Hallo! Wir hatten den gleichen Weg und sollten mit exakt gleicher Verbindung zu Hause ankommen, mit dem einzigen Unterschied, dass ich in Würzburg statt in Nürnberg umsteigen sollte und wollte. Wir hatten eine kurzweilige Fahrt bis Nürnberg, wo wir uns vorläufig voneinander verabschiedeten. Zuvor hatten wir uns jedoch vom Bahnpersonal versichern lassen, dass trotz inzwischen siebenminütiger Verzögerung alle Anschlusszüge erreicht würden, sowie die gebuchten Sitzplatznummern ausgetauscht.
Eine halbe Stunde vor Würzburg verlor unser Zug kontinuierlich an Geschwindigkeit und Wums, bevor er mitten in der fränkischen Wildnis ganz zum Stehen kam. Wegen einer technischen Störung hielten wir zehn Minuten inne, wodurch der zeitliche Rückstand beim Zwischenhalt eine Viertelstunde betrug. Glücklicherweise war das gar kein Problem, weil der Anschlusszug 20 Minuten Verspätung hatte. Es war des Weiteren angekündigt, dass dieser in umgekehrter Wagenreihung verkehren sollte, aber darauf bin ich nicht mehr hereingefallen. Ich habe mich vielmehr genau da positioniert, wo der Wagenanzeiger meine Reservierung angezeigte, was sich als geistesgegenwärtig und goldrichtig erwies.
Nun ging es fröhlich weiter – es ergab sich sogar, dass noch ein Platz am Vierertisch meiner Freunde für mich war, so dass wir plauschen oder schweigen konnten, und dabei stets in netter Gesellschaft waren. Bis Hannover ging das alles ausgezeichnet, auch wenn ich K. regelmäßig enttäuschen musste, wenn er in die Runde fragte, ob wir gleich da wären. Wir hatten ja noch ungefähr zwei Stunden vor uns – so dachten wir zumindest …
Denn in der ehemaligen Expostadt verweilten wir erst einmal geraume Zeit ohne ersichtlichen Grund. Dann kam die Durchsage, dass es wegen technischer Störungen einige Minuten nicht weitergehen würde. Wenig später wurde diese Aussage durch die Anmerkung ergänzt, dass am Gleis gegenüber ein IC Halt machte, der ebenfalls nach Hamburg Altona fahren sollte, und dass diejenigen, die dieses Ziel hätten, gerne dort einsteigen könnten, da man noch nicht genau wisse, wann der Defekt behoben sein würde. Kurz danach fuhr zum Einen der IC ab, zum Anderen ertönte aus dem Lautsprecher der Hinweis, dass dieser Zug nicht nach Berlin fahre, und alle in Hannover zugestiegenen Reisenden, deren Ziel die Landeshauptstadt wäre, bitte wieder aussteigen sollten. Wir belegten das Gleis ja nun schon eine Weile, und so hatten einige Arglose vermutet, dass es sich hier bereits um den nächsten Zug handelte.
Nach 30 Minuten des Stillstandes knackte es wieder in der Soundanlage, und ein Sprecher verkündete mit getragener Stimme, dass schlafende Fahrgäste geweckt und jeder, der gerade Kopfhörer trug, aufmerksam gemacht werden sollte, denn es folge eine wichtige Information. Das war kein gutes Zeichen. Dies bestätigte sich, als uns mitgeteilt wurde, dass dieser ICE 788 nicht nur nicht nach Berlin, sondern nirgendwo mehr hinfahren würde. Dafür wartete am Gleis gegenüber ein voll besetzter Intercityexpress, in den wir umsteigen sollten. Wir kramten also unsere Habseligkeiten zusammen und wechselten das Beförderungsmittel, hatten aber leider keine Chance dasselbe mit dem Anbieter zu tun.
Stattdessen standen wir uns in den Gängen die Beine in den Bauch bzw. nahmen, wo räumlich möglich auf unseren Koffern Platz, wobei gleichzeitig darum gebeten wurde, die Fluchtwege freizuhalten. Dies beherzigend machte ich mich mit einigen Brüdern und Schwestern im Geiste in die erste Klasse auf, wo ich im vorletzten Abteil einen der wenigen freien Plätze ergatterte, auf den ich mich fallen ließ. Mittlerweile war es eine Stunde nach ursprünglich geplanter Ankunftszeit, doch nun ging es endlich weiter.
Unser Glück währte allerdings nicht lange, weil wir schon nach 20 Minuten weit entfernt von jedem größeren Bahnhof wieder zum Stehen kamen. Diesmal befanden sich Personen auf den Gleisen. Die Polizei musste kommen, um die Strecke wieder freizugeben, was 30 Minuten später tatsächlich erfolgte. Dafür hatte ich jedoch nur noch ein hysterisches Lachen übrig. Es war ja auch schon spät, und ich hatte Hunger, wobei man fairerweise sagen muss, dass die zahlenden und nicht zahlenden Gäste der ersten Klasse zwischendurch von der Bahn mit einem kostenlosen Schokoladenriegel versorgt wurden. Insoweit wurde da kein Unterschied gemacht. Die in der zweiten Klasse gestapelten Reisenden hatten leider nicht so viel Glück.
Nach weiteren eineinhalb Stunden endlich in Hamburg angekommen, öffneten sich die elektrischen Türen nicht mehr. Ich hatte für einen kurzen Moment Assoziationen zu Stephen King´s Christine -bevor das Reinigungspersonal von außen Schleusen und Tore öffnete.
Dumpf schlurfte ich zur Sbahn für die letzte Wegstrecke, die glücklicherweise planmäßig war, so dass ich ohne weitere Zwischenfälle spät, aber glücklich mein Heim erreichte. Die Jungs schliefen schon, aber zumindest mein Mann war noch wach und begrüßte mich.
Wenn einer eine Reise tut …
… dann ist es reine Glückssache, ob und wann er trocken ankommt, zumindest, wenn er mit der Bahn unterwegs ist ….