Die Gnade der zweiten Geburt, Teil 4 – oder Elternsein ist nichts für Feiglinge

Elternsein ist nichts für Feiglinge! Es erfordert ständige Offenheit, eine meterhohe Frustrations- und Stresstoleranz, die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse zurückzustellen und nichts persönlich zu nehmen, aber auch die Gabe, auf sich selbst zu achten.

Und als wäre das noch nicht genug, ist auch noch ein gehöriges Quantum Selbstreflektion vonnöten, denn niemand fordert Dich und Deine Persönlichkeit so sehr heraus, wie Deine eigenen Kinder.

Anfangs äußert sich das in „ungünstigen“ Verhaltensweisen der lieben Kleinen, die Dein Blut regelmäßig gehörig in Wallung bringen. Manchmal katapultieren Dich diese von jetzt auf gleich auf die höchste Palme.

Im Idealfall stellst Du Dir, wenn die Situation überstanden ist, die Frage, warum Du gerade diese Palme in solcher Affengeschwindigkeit erklimmen musstest.

Oft war es bei mir so, dass ich eine Eigenschaft oder ein Verhalten wiedererkannte, dass ich an mir selbst nicht leiden konnte, mit dem ich mir selbst immer wieder im Weg stand. Es macht mich z.B. wahnsinnig, wenn mein Sohnemann meine Fragen regelmäßig ironisch und schnippisch retourniert. Besserwisserei kann ebenfalls ganz schön anstrengend sein. Und wenn das alles noch mit einer Sturheit gepaart ist, die jedem Esel Ehre machen würde, dann muss ich schon richtig gut drauf sein, um nicht komplett auszuflippen.

Es ist nicht angenehm, auf diese Weise den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Nicht nur, dass ein wunder Punkt getroffen wird, der momentan ziept; ich kann mir sicher sein, dass dieser zukünftig immer wieder mit schweren Geschützen beschossen wird.

Zu Beginn machen die Kinder das noch unbewusst, weil sie nun einmal unsere Gene haben und wir fast ausschließlich ihr Milieu bestimmen. Später werden sie es kognitiv einsetzen. Niemand kennt unsere diversen Trigger so gut wie unsere eigenen Kinder. Niemand konnte uns und unsere Argumentationsketten über Jahre so genau studieren. Da kann eine Diskussion schon mal in ein schmerzhaftes Ping Pong Spiel ausarten und so manches K.O. –Kriterium als ein Dejavu erscheinen.

Das ist kräftezehrend und – es gibt keine Pause. Während Du zu jedem anderen auf Abstand gehen kannst, so lange Du es brauchst, um runterzufahren und in Ruhe zu überdenken, ist das im Familienalltag normalerweise nicht lange möglich. Es gibt nur die Alternativen, an Dir und der Beziehung zu den Deinen zu arbeiten – oder zu verzweifeln.

Positiv formuliert, wird uns das fordern und weiterbringen – es ist sozusagen die Verhaltenstherapie frei Haus. Schonungslose Ehrlichkeit ist gefragt – mit sich selbst und den Kindern. Es geht auch darum, Grenzen zu setzen. Allerdings meine ich damit weniger, Konsequenzen für die Sprösslinge herbeizuführen, deren Ausdruck so häufig Strafen sind, sondern die eigenen Grenzen und Bedürfnisse klarzumachen und zu erklären – je authentischer und altersgerechter, desto besser. Man muss sich also ganz genau damit auseinandersetzen, was man will, was okay ist und was man absolut nicht will. Leider oder glücklicherweise gibt es dafür keine Blaupause – Selbstanalyse hoch 2 sozusagen.

Ins Dreidimensionale entwickelt sich das Ganze übrigens in dem Moment, in dem man erkennt, dass der Nachwuchs nicht nur eigene Verhaltensweisen und Meinungen reproduziert, die uns herausfordern, sondern aufgrund des Erbmaterials und des gleichen Umfelds auch die des Partners. Da ist die Paartherapie gleich inkludiert …

Die gute Nachricht ist, dass die stetige Interaktion mit den Kindern und die Arbeit an sich selbst, sich irgendwann auszahlen werden. Wenn es gut läuft, dann kommen sie später nicht nur widerwillig zu nervigen Familienfeiern, sondern besuchen uns gerne, reden ungezwungen und konnten Verständnis für uns entwickeln. Vielleicht verstehen sie uns sogar besser als manch anderer.

Der unschlagbare Pluspunkt am Elternsein ist in meinen Augen, dass unser Humor so sicher weitergegeben, anerzogen, geformt oder mit der Muttermilch aufgesogen wird, dass einem das Lachen niemals vergehen wird.

Eure VME

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